Warum ich davon überzeugt bin, dass viel getragene Säuglinge eine bessere Selbstregulation entwickeln!

by | 14.04.2022

Ja, ich weiß es. Hier scheiden sich viele Geister. Und weil es mir manchmal nicht ausreicht, dass sich die Geister nur scheiden, werde ich noch mehr auf den Putz hauen 🙃.

Neugeborene/Säuglinge sollten mehr und länger getragen werden.

UND

Viel getragene Neugeborene/Säuglinge entwickeln eine bessere Selbstregulation.

Wenn ich lese oder höre, dass man die EIGENEN Babys durch das Tragen verwöhnen könnte, muss ich ganz klar fragen: Womit könnte man das eigene Kind bitteschön verwöhnen? Mit Liebe? Mit Zuneigung? Mit Geborgenheit? Mit Berührung? Wovon haben alle Angst?

Ich bin ganz klar „FÜR“ das viele Tragen der Neugeborenen und Säuglinge. Durch Ihre Nähe kann sich das kindliche, unreife Nervensystem beruhigen. Durch das beruhigte Nervensystem haben die Babys einen besseren Ausgangspunkt, um eine bessere, stabilere Selbstregulation zu entwickeln.

Wie kann ich herausfinden, was mein Baby braucht? Das ist ganz einfach. Das Wichtigste ist Ihre genaue Beobachtung des Neugeborenen, das Erkennen des Bedarfs und diesen Bedarf adäquat zu stillen.

Mit Adäquat meine ich nicht das aus der „allwissenden“ Umgebung gehörte Rat aus dem Jahr 1910, sondern das, was für Ihr Baby funktioniert. Ja, Sie müssen etwas herumprobieren und ja, Sie sollten sich selbst als Eltern mehr trauen. Ihre elterliche Intuition sollte einen höheren Stellenwert erhalten. Ob das „Adäquate“ am Ende viel tragen bedeutet oder wie bei meinem Stiefenkel tatsächlich gelegentlich ablegen heißt, muss von den Eltern richtig erkannt werden. Wir sind alle Individuen, und jeder braucht etwas anders. Wie es so schön heißt – die Ausnahmen bestätigen die Regel.

Was steckt hinter meiner Meinung?

Einerseits die Physiologie des Neugeborenen, die Logik und wissenschaftliche Studien, anderseits meine extreme Empathie.

Wenn man das Entwicklungsstadium eines Neugeborenen anschaut, ist es offensichtlich, dass sie nichts „können“. Die Nervenzellen liegen bei einem Neugeborenen isoliert nebeneinander. Sie sind noch nicht vernetzt. Das heißt, dass sie noch nicht kommunizieren können. Ergo – sie sind vollkommen ABHÄNGIG von der Bezugsperson und das wichtigste von allem: Sie sind zu dem Zeitpunkt nicht in der Lage, das zu lernen, wozu sie erst viel später in der Lage sein werden. Amen!

Was Ihr Baby definitiv sofort spüren kann und wird, ist, wenn sie ihn hochnehmen, ihn an sich leicht drücken und etwas leise erzählen. Ihr Baby kennt Ihren natürlichen Hautduft, bei Müttern riecht es die leckere Milch, hört Ihren Herzschlag und Ihre Stimme, spürt Ihre Berührung und Ihre Energie.

Für Ihr Baby heißt es nun: „Aaaaaaaa, das kenne ich – ergo – ich kann entspannen. Ich bin sicher!“

Und „sicher sein“ ist das Zauberwort für uns alle, nicht nur für Neugeborene und Kinder.

Geben Sie Ihrem Baby mehr davon, was es schon kennt und womit es umgehen kann und das ist kuscheln und tragen. Das beruhigt enorm.

Es kann doch gar nicht sein, dass ein Neugeborenes nichts kann, oder?

Nun ja. Vom Können ist hier definitiv nicht die Rede. Das Gehirn eines Neugeborenen ist bei der Geburt 25 % so groß wie das Gehirn eines Erwachsenen und die Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen. Beim Säugling stehen zunächst Reflexe im Vordergrund. Das sind Suchreflex, Saug-Schluck-Reflex, Atemschutzreflex, Moro-Reflex und einige andere Reflexe. Manche machen noch einen Sinn, wie der Suchreflex (Stillen). Allerdings gibt es Reflexe, die für unsere Zeit etwas „unangebracht“ sind, wie z.B. Moro-Reflex.

Die lebenserhaltende Funktionen wie Herzfrequenz, Atmung, Schlucken, Brechen, Husten, Schlafen und Wachen werden im Hirnstamm gesteuert. Diese Strukturen sind bei der Geburt vollständig entwickelt.

Die Außenreize werden auf der Ebene des Rückenmarks umgesetzt. Eine Reaktion auf ein Außenreiz äußert sich als eine Körperreaktion. Der ganze Körper des Säuglings (weinen, strampeln) dient dazu, grundlegende Bedürfnisse wie Hunger und Empfindungen wie Unwohlsein oder Angst zu zeigen. Diese emotionale und Verhaltensregulation ist die erste Entwicklungsaufgabe des Säuglings.

Sie als Eltern/Bezugsperson dienen als eine externe Hilfe, ohne die Ihr Baby verloren ist. Was bleibt ihm übrig als zu weinen, wenn es plötzlich alleine liegt und Angst bekommt? Nun wenn wir die Hintergründe etwas besser kennen, wird uns schnell klar, dass sich das Baby gar nicht selbst regulieren kann.

Sie sind der Anker und der sichere Hafen für Ihr Baby. Durch das Tragen geben Sie ihm die nötige Sicherheit und Möglichkeit sich selbst zu regulieren. Sie haben sicherlich bei Ihrem Baby beobachtet, wie es gelegentlich durchschnauft, nicht wahr? Das bedeutet Entspannung. Das Gähnen bedeutet das gleiche, außer sie sind gerade müde😀.

Leider erzählen mir noch viele Eltern, dass manche Kinderärzte oder gar Hebammen empfehlen, das Baby von Anfang an abzulegen, sodass es lernen kann, sich alleine zu regulieren. Das bisschen Weinen würde schließlich nicht schaden.

Ganz ehrlich – auf so etwas krieg‘ ich Krätze!

Wie kann ich es erkennen, was mein Baby braucht?

Das wichtigste ist, Ihr Baby genau zu beobachten. Nur so lernen Sie Ihr Baby kennen und nur so werden Sie in der Lage sein, ihm so zu helfen, wie es notwendig ist. Ja, es gibt Kinder, die eine größere Kapazität und andere Möglichkeiten haben sich zu regeln, und andere eben nicht! Das ist vom Baby zu Baby unterschiedlich.

Ein getragener Neugeborener/Säugling fühlt sich bei Ihnen sicher. So kann er, wenn er etwas größer wird, aus einer sicheren Entfernung beobachten, was um ihn herum passiert. Wie ein kleines Kangaroo-Baby. Ganz am Anfang ist Ihre Aufgabe Ihr Sprössling von zu viel Außenreize zu schützen. Die „Mini-Aktivitäten“, die Sie dennoch unternehmen können, sind auf Sie und Ihr Baby begrenzt.

Sie sind der Held Ihres Babys!

Alles, was Ihr Baby erlebt, d.h. alles, was von außen auf ihn einwirkt, beeinflusst seine Gehirnentwicklung. Umso sicherer sich Ihre Babys fühlen, desto entspannter sind sie auch. Mir persönlich geht es auch nicht anderes.

Was ich noch ganz klar sagen muss ist: Neugeborene/Säuglinge können Sie weder ausnutzen noch manipulieren. So eine Leistung gibt das Hirn nicht her.

Wenn ich so etwas höre….OH NO!

Welche Sinnes-Systeme nutzen Neugeborene?

Verschiedene Bereiche des Kortex (Hirnrinde) reifen zum unterschiedlichen Zeitpunkt. Der sensorischer Bereich des Kortex ist als Erstes ausgereift. Das System verarbeitet die Informationen aus Haut-, Gelenk- und Muskelrezeptoren. Dadurch werden Druck, Schmerz, Berührung und Temperatur wahrgenommen. Das bedeutet, dass das Erstes an der Tagesordnung ist, das Tragen. Es folgt das Kuscheln, berühren und die eigene Körperwärme spüren zu lassen. Das war’s schon. Alles andere ist unnötig. Ein Neugeborenes durch die Wohnung spazieren zu tragen und alles zu „zeigen“ ergibt keinen Sinn. Ihr Baby wird nur überfordert und am Ende ist das Geschrei groß.

Die Areale, wie z.B. der präfrontale Kortex, der für die geistige Funktion zuständig ist, braucht viele Jahre, um zu reifen. Das erklärt, warum die Kinder im Vor- und Grundschulalter nicht in der Lage sind, ihr Verhalten in jedem Moment zu kontrollieren. Diese Hirnleistung ist noch nicht vollständig gegeben.

Neugeborene/Säuglinge nutzen folgende Systeme:

  • Tastsinn – wichtig, um Berührung zu spüren und essenziell für die emotionale Entwicklung.
  • Gleichgewichtssinn – wichtig für Bewegung, Aufrichtung und Aufmerksamkeit
  • Gleichgewichtssinn – gibt Informationen aus Muskeln, Gelenken und Sehnen
  • Sehsinn
  • Hörsinn
  • Geruchssinn

All diese Sinne reifen zu unterschiedlichen Zeitpunkten.

Spielen Hormone eine Rolle?

Und wie! Bei Ihnen UND bei Ihrem Baby. Wie cool ist das denn? Bei Berührung/Tragen und Stillen werden Hormone ausgeschüttet, die wichtig für die Entwicklung Ihres Babys sind.

Dopamin ist für das Wohlgefühl zuständig und das Oxytocin sorgt für die Entspannung, Vertrauen, Zuneigung, wirkt Stress- und Schmerzlindernd und blutdrucksenkend.

Säuglinge können aufgrund ihrer individuell unterschiedlichen Reaktionen unterschiedlich positiv oder auch negativ auf elterliche Hilfe reagieren. Ein leicht irritierbarer Säugling kann seine Eltern überfordern und die können wiederum inadäquat oder wenig feinfühlig reagieren (van den Boom & Hoeksma, 1994). Je sicherer und ausgeglichener Sie als Elternteil sind, desto besser werden Sie Ihr Baby beruhigen können.

Wenn Sie z.B. das weinende Baby zu sich nehmen, bieten Sie sich selbst als Hilfsplattform an, um sein Erregungszustand zu regulieren. So kann das Baby peu à peu verschiedene Strategien im Umgang mit Stress entwickeln. Jedoch kann sich das Baby nur mit Ihrer Hilfe regeln. Sie sind sozusagen der Generalschlüssel.

Schlusspunkt

Before the newborn can make any kind of lasting change at all in their behavior, they need to feel safe and loved.

Dr. Bruce Perry

Jedes Kind und jede Situation sind einzigartig. Das Grundbedürfnis der Menschen ist, sich sicher zu fühlen. Für ein Neugeborenes bedeutet es, nah bei Eltern zu sein. Nicht im eigenen Bett, nicht im anderen Zimmer, nicht alleine. Ein viel getragener Neugeborener/Säugling hat einen besseren Ausgangspunkt, um eigene Selbstregulation zu entwickeln. Aus einem entspanntem Zustand sind die Reaktionen anders, als aus einem erregten und aufgebrachten Zustand.

Ich wünsche mir eine Welt, in der alle Kinder Liebe, Sicherheit und Geborgenheit erfahren können. Und das geht am Anfang nur über das Tragen.

❤️-lichst Ihre

Alexandra

Alexandra-Henriette Marjanovic

Alexandra-Henriette Marjanovic

M.Sc. ped.Ost. (GB), DPO, M.Sc. Ost. (D)

Alexandra Marjanovic ist eine erfahrene Heilpraktikerin, die sich auf Psychologie, Psychosomatik und Osteopathie spezialisiert hat. Mit viel Herz und Fachwissen begleitet sie Neugeborene, Kinder mit besonderen Bedürfnissen und Erwachsene mit ADHS auf ihrem Weg zu mehr Wohlbefinden.

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