Wie beeinflusst Einsamkeit unser Leben?

by | 25.08.2024

Dieser Blogartikel ist aus einer spannenden Initiative meiner Blogkollegin Gesa Oldekamp entstanden, die eine Blogparade zu dem Thema „Was macht Einsamkeit mit uns?“ ausgerufen hat. Ihre Einladung, Gedanken und Erfahrungen zu diesem wichtigen und oft tabuisierten Thema zu teilen, hat mich dazu inspiriert, tiefer in die Materie einzutauchen. In einer Zeit, in der viele Menschen mit diesen Gefühlen kämpfen, ist es entscheidend, darüber zu sprechen und Perspektiven auszutauschen. So entstand der Wunsch, nicht nur meine eigenen Gedanken zu formulieren, sondern auch einen Raum für Diskussion und Reflexion zu schaffen.

Ich entschied mich, den Begriff der Bezugslosigkeit in meine Betrachtungen einzubeziehen, da er eine wichtige Dimension unserer emotionalen Erfahrungen erfasst, die oft übersehen wird. Bezugslosigkeit geht über das Gefühl des Alleinseins hinaus und berührt Fragen der Identität, des Zugehörigkeitsgefühls und unserer Verbindung zur Welt.

In unserer zunehmend vernetzten Welt mag es paradox erscheinen, aber Gefühle der Einsamkeit und Bezugslosigkeit sind weitverbreitet und betreffen Menschen aller Altersgruppen und Lebenssituationen. Ob als Selbstständige, die oft allein arbeiten, als Neurodivergente, die sich manchmal missverstanden fühlen, oder einfach als Menschen, die sich nach tieferen Verbindungen sehnen – viele von uns kennen diese Herausforderungen. Beide Erfahrungen können belastend sein, aber es ist wichtig zu wissen: Sie sind nicht unüberwindbar.

1. Alleinsein, Einsamkeit oder Bezugslosigkeit

Wo ist der Unterschied?

Alleinsein ist ein objektiver Zustand, in dem eine Person physisch von anderen getrennt ist. Es kann eine bewusste Wahl sein, um Ruhe zu finden, zu reflektieren oder kreativ zu sein. Viele Menschen genießen es, allein zu sein und nutzen diese Zeit produktiv.

Einsamkeit ist hingegen zutiefst persönliches Gefühl der Isolation, das unabhängig von unserer tatsächlichen sozialen Situation auftreten kann. Es ist ein emotionaler Zustand, der sich einstellt, wenn unsere Bedürfnisse nach zwischenmenschlicher Verbindung und Austausch unerfüllt bleiben. Dieses Gefühl manifestiert sich als ein akuter Mangel an bedeutungsvollen Beziehungen. Es ist die schmerzhafte Erkenntnis, dass man niemanden hat, mit dem man seine innersten Gedanken und Gefühle teilen kann. Einsamkeit kann einen Menschen selbst inmitten einer Menschenmenge überkommen, wenn echte Verbundenheit fehlt.

Bezugslosigkeit beschreibt einen Zustand tiefer Entwurzelung und fehlender Verbindung zur Umwelt. Menschen, die Bezugslosigkeit erleben, fühlen sich von ihrer Umgebung, anderen Personen und der Welt im Allgemeinen abgetrennt oder losgelöst. Im Kern geht es bei Bezugslosigkeit um das Fehlen bedeutungsvoller Beziehungen und Verbindungen. Betroffene haben das Gefühl, nirgendwo wirklich dazuzugehören oder verwurzelt zu sein. Sie empfinden eine fundamentale Fremdheit gegenüber ihrer Umwelt und anderen Menschen.

Anders als Einsamkeit, die oft vorübergehend und situationsbedingt auftritt, wird Bezugslosigkeit häufig als ein tiefgreifenderer und anhaltender Zustand erlebt. Es ist mehr als nur ein Gefühl der Isolation – es ist das Empfinden, grundsätzlich keinen Platz in der Welt zu haben. Menschen mit Bezugslosigkeit können sich wie Außenseiter oder Beobachter ihres eigenen Lebens fühlen. Sie haben Schwierigkeiten, echte Verbindungen zu anderen aufzubauen oder einen Sinn in ihrem Dasein zu finden. Dieser Zustand kann sehr belastend sein und zu einem Gefühl der Orientierungslosigkeit und Leere führen.

2. Ein kleiner philosophischer Exkurs

Alleinsein ist ein objektiver Zustand, der von vielen Menschen unterschiedlich wahrgenommen wird. Während manche es als unangenehm empfinden, genieße ich diese Momente der Ruhe und Selbstreflexion. Dennoch kann ich nachvollziehen, dass nicht jeder damit positive Erfahrungen verbindet.

Eine weitaus größere Herausforderung sehe ich in der Unterscheidung zwischen Einsamkeit und Bezugslosigkeit. Diese beiden Zustände zu trennen, erweist sich oft als schwierig, da sie eng miteinander verwoben sein können.

Wenn wir Einsamkeit als einen Ruf nach Verbindung verstehen, was löst dann Bezugslosigkeit in uns aus?

Bezugslosigkeit scheint tiefer zu gehen als Einsamkeit. Sie gleicht einer unsichtbaren Barriere, die uns nicht nur von anderen Menschen, sondern von der gesamten Welt um uns herum trennt. In diesem Zustand stellen wir uns die fundamentale Frage: „Gehöre ich überhaupt hierher?“

Einsamkeit motiviert uns, nach Wegen zu suchen, um Verbindungen zu anderen aufzubauen – wie Brücken, die wir errichten möchten. Bezugslosigkeit hingegen lässt uns daran zweifeln, ob es überhaupt etwas gibt, zu dem wir eine Brücke schlagen können. Es ist, als würden wir uns fragen, ob auf der anderen Seite überhaupt Land existiert. Diese tiefgreifende Form der Entfremdung kann besonders herausfordernd sein, da sie unser grundlegendes Gefühl der Zugehörigkeit infrage stellt. Während Einsamkeit oft temporär ist und durch soziale Interaktionen gelindert werden kann, erfordert die Überwindung von Bezugslosigkeit möglicherweise eine tiefere Auseinandersetzung mit uns selbst und unserer Beziehung zur Welt. Letztlich zeigen beide Zustände-Einsamkeit und Bezugslosigkeit – wie wichtig bedeutungsvolle Verbindungen für unser Wohlbefinden sind. Sie erinnern uns daran, dass wir als Menschen grundsätzlich soziale Wesen sind, die nach Zugehörigkeit und Verständnis streben.

3. Einsam, aber nicht bezugslos ODER bezugslos, aber nicht einsam.

Als Soloselbstständige begegne ich der Einsamkeit in vielen Facetten meines Arbeitsalltags. Inmitten der beruflichen Herausforderungen fehlt mir oft der direkte Austausch mit Kollegen oder Gleichgesinnten. Diese räumliche Trennung verstärkt das Gefühl, bei Entscheidungen und Problemen auf mich allein gestellt zu sein, was mich manchmal in eine tiefe Einsamkeit führt. Meine Familie bemüht sich zwar um Verständnis, kann aber die Vielzahl der Aufgaben, die auf meinen Schultern lasten, nicht immer nachvollziehen. Es ist, als würde ich eine Sprache sprechen, die nur andere Soloselbstständige wirklich verstehen. Dennoch finde ich Wege, diese Einsamkeit zu überwinden. Ich suche gezielt den Kontakt zu anderen Selbstständigen und nutze gelegentlich Co-Working-Spaces. Diese Verbindungen, so digital oder sporadisch sie auch sein mögen, sind wie Inseln der Gemeinschaft in meinem sonst oft einsamen Arbeitsozean. Die Herausforderung bleibt, eine Balance zu finden zwischen der notwendigen Eigenständigkeit und dem menschlichen Bedürfnis nach Austausch und Verständnis. Es ist ein ständiger Lernprozess, aber einer, der mich sowohl beruflich als auch persönlich wachsen lässt.

Als neurodivergente Selbstständige erlebe ich die Außenwelt oft als fremd. Meine Arbeitsweisen und Denkprozesse passen nicht in übliche Muster. Ungeschriebene soziale Regeln und Netzwerkdynamiken bleiben für mich oft schwer zu durchschauen. Dieses Gefühl der Fremdheit ist keine Einsamkeit im klassischen Sinne. Es ist eher, als würde ich in einer Parallelwelt existieren – verbunden mit anderen, aber dennoch anders. Die bewusste Neuausrichtung meiner Praxis auf Neurodiversität brachte einen Wendepunkt. Ich konnte nun meine eigenen Erfahrungen und Sichtweisen direkt in meine Arbeit einbringen. Dies gab mir nicht nur einen klaren beruflichen Fokus, sondern auch eine wertvolle neue Perspektive, die meine Praxis bereichert.

4. Ist Alleinsein, Einsamkeit und Bezugslosigkeit eine Frage des Alters?

Die Erfahrung von Alleinsein, Einsamkeit und Bezugslosigkeit kann Menschen jeden Alters betreffen, doch die Art und Intensität dieser Gefühle können sich im Laufe des Lebens verändern.

Junge Menschen erleben oft Einsamkeit während wichtiger Übergangsphasen, wie dem Auszug aus dem Elternhaus oder dem Beginn des Studiums. Sie können sich bezugslos fühlen, während sie ihre Identität und ihren Platz in der Welt suchen.

Im mittleren Alter können beruflicher Stress, familiäre Verpflichtungen und sich verändernde soziale Kreise zu Gefühlen der Isolation führen. Alleinsein kann hier sowohl als Belastung als auch als willkommene Auszeit empfunden werden.

Ältere Menschen sind besonders anfällig für Einsamkeit, bedingt durch den Verlust von Partnern, Freunden und beruflichen Netzwerken. Die Pensionierung kann zu einem Gefühl der Bezugslosigkeit führen, wenn die berufliche Identität wegfällt. Allerdings nimmt die Fähigkeit, Alleinsein zu genießen, mit dem Alter oft zu. Viele ältere Menschen entwickeln eine tiefere Selbstkenntnis und innere Ruhe, die ihnen hilft, auch ohne ständige Gesellschaft zufrieden zu sein.

Letztlich sind Alleinsein, Einsamkeit und Bezugslosigkeit weniger eine Frage des Alters als vielmehr individueller Lebensumstände, persönlicher Resilienz und sozialer Verbindungen. Die Herausforderung besteht darin, in jedem Alter ein Gleichgewicht zwischen Alleinsein und sozialer Interaktion zu finden, das den eigenen Bedürfnissen entspricht.

5. Die Psyche im Schatten

Alleinsein, Einsamkeit und Bezugslosigkeit können tiefgreifende Auswirkungen auf die menschliche Psyche haben, wobei die Effekte je nach Zustand variieren:

Alleinsein

  • Kann positiv sein und Raum für Kreativität und Selbstreflexion schaffen
  • Ermöglicht es, mit der eigenen Gefühlswelt in Kontakt zu kommen
  • Kann die Fähigkeit zu tieferen zwischenmenschlichen Beziehungen fördern
  • Stärkt Unabhängigkeit und Selbstsicherheit

Einsamkeit

  • Verursacht Stress und kann zu einem sinkenden Selbstwertgefühl führen
  • Aktiviert im Gehirn dieselben Areale wie physischer Schmerz
  • Kann Schlaflosigkeit, ein geschwächtes Immunsystem und abnehmende kognitive Leistungsfähigkeit verursachen
  • Erhöht das Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen
  • Kann zu Angst und Panikattacken führen

Bezugslosigkeit

  • Kann zu einem Gefühl der Unwirklichkeit und Entfremdung führen, ähnlich einer Depersonalisationsstörung
  • Beeinträchtigt die emotionale Verbindung zur Umwelt und zu anderen Menschen

Alle drei Zustände können die psychische Gesundheit beeinträchtigen, wobei Einsamkeit und Bezugslosigkeit tendenziell negativere Auswirkungen haben als freiwilliges Alleinsein.

5. Gemeinsam stark: Wege zu mehr Verbundenheit

Einsamkeit und das Gefühl, nicht verbunden zu sein, können herausfordernd sein. Aber es gibt Wege, diese Situation aktiv zu verbessern! Und ja: Die perfekte Umgebung oder Gemeinschaft findet man selten sofort. Es braucht oft Zeit, Geduld und ein bisschen Experimentierfreude. Sehen Sie die folgenden Vorschläge als Inspirationsquelle. Probieren Sie aus, was Sie anspricht, und passen Sie die Ideen an Ihre persönlichen Bedürfnisse an. Denken Sie daran: Jeder Schritt, egal, wie klein er erscheint, ist ein Fortschritt. Seien Sie freundlich zu sich selbst und feiern Sie jeden Versuch, neue Verbindungen zu knüpfen.

Hier sind einige Möglichkeiten, die Ihnen helfen können, aktiv gegen Einsamkeit vorzugehen und sich verbundener zu fühlen:

  1. Soziale Aktivitäten: Teilnahme an Gruppen oder Vereinen, die Ihre Interessen widerspiegeln. Dies fördert sowohl oberflächliche als auch tiefere Verbindungen.
  2. Kreatives Ehrenamt: Engagement in gemeinnützigen Organisationen, bei dem Sie Ihre kreativen Fähigkeiten einsetzen können, z. B. Musikunterricht für benachteiligte Kinder.
  3. Natur und Gemeinschaft verbinden: Teilnahme an Gruppenaktivitäten in der Natur
  4. Sport: Teilnahme an Tanzkursen oder Kampfkunstklassen, die körperliche Aktivität mit sozialer Interaktion verbinden.
  5. Kreative Therapie und Ausdruck: Kombination von professioneller Therapie oder Beratung mit kreativen Ausdrucksformen wie Kunsttherapie oder expressivem Schreiben.
  6. Haustiere und Gemeinschaft: Adoption eines Haustieres und gleichzeitige Teilnahme an Haustierbesitzer-Treffen oder Spaziergängen, um sowohl die Bindung zum Tier als auch zu anderen Menschen zu stärken.

6. Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Einsamkeit und das Gefühl der Bezugslosigkeit Herausforderungen sind, die viele von uns in verschiedenen Lebensphasen erleben. Es gibt zahlreiche Wege, aktiv daran zu arbeiten, diese Gefühle zu verändern und neue Verbindungen zu schaffen. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass jeder Weg individuell ist und es keine „One-Size“-Lösung gibt. Der Austausch von Erfahrungen und Ideen kann uns helfen, neue Perspektiven zu gewinnen und kreative Ansätze zu finden.

Ich lade Sie ein, über Ihre eigenen Erfahrungen nachzudenken und zu teilen, welche Strategien für Sie funktioniert haben oder welche neuen Wege Sie erkunden möchten. Lassen Sie uns gemeinsam darüber diskutieren und voneinander lernen!

Alles Liebe,

Alexandra

Alexandra-Henriette Marjanovic

Alexandra-Henriette Marjanovic

M.Sc. ped.Ost. (GB), DPO, M.Sc. Ost. (D)

Alexandra Marjanovic ist eine erfahrene Heilpraktikerin, die sich auf Psychologie, Psychosomatik und Osteopathie spezialisiert hat. Mit viel Herz und Fachwissen begleitet sie Neugeborene, Kinder mit besonderen Bedürfnissen und Erwachsene mit ADHS auf ihrem Weg zu mehr Wohlbefinden.

0 Comments

Submit a Comment

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner